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Sehr geehrter Herr Jagau,
der Berichterstattung der HAZ vom 07.06.2016 ist unter der Überschrift „Kreißsäle dicht – weil Hebammen fehlen, „Das ist ein Notstand“: Henriettenstift musste am Wochenende Schwangere ins Friederikenstift schicken“ das Folgende zu entnehmen: „Der Engpass in der Geburtshilfe in der Region Hannover ist dramatischer als bislang bekannt. Das Henriettenstift, eines von zwei Geburtshilfekrankenhäusern des Diakovere-Verbundes, musste am Wochenende wegen eines Personalengpasses bei den Hebammen an beiden Tagen jeweils von etwa 14 bis 21.30 Uhr seine Kreißsäle schließen. Grund waren nach Angaben von Unternehmenssprecher Achim Balkhoff „fünf kurzfristige Krankmeldungen“. Man habe in dieser Zeit die Geburtshilfe auf das Friederikenstift konzentriert. Das Henriettenstift ist aber keine normale Geburtsklinik wie das Friederikenstift (Level 4), sondern ein Perinatalzentrum mit dem Prädikat Level 1: eine wesentlich höher zertifizierte Schwerpunktklinik zur Versorgung von Neu- und Frühgeborenen.
Dass kleinere Geburtskliniken in Niedersachsen wegen Personalmangels bei Hebammen nur tagsüber geöffnet seien, habe sie schon gehört, auch bundesweit gebe es das, sagte Veronika Bujny, Vorsitzende des Niedersächsischen Hebammenverbandes gestern. Dass eine niedersächsische Level-1-Klinik Kreißsäle nicht mit Hebammen besetzen könne, sei neu: „Das ist ein richtiger Notstand.“ Beim Diakovere-Verbund räumte man gestern zudem ein, dass eine Level-1-Klinik eigentlich verpflichtet sei, eine Hebamme vor Ort und eine zweite in Notbereitschaft vorzuhalten. Man habe dies erstmals nicht gewährleisten können. Für Frauen mit Risikoschwangerschaften kam am Wochenende erschwerend hinzu, dass auch die zweite Level-1-Geburtsklinik Hannovers, die MHH, Frauen abweisen musste. Grund hierfür sei gewesen, dass die zehn Intensivbehandlungsplätze auf der Frühchenstation belegt gewesen seien, sagte ein Sprecher gestern. Ein Intensivbehandlungsplatz sei aber zwingend nötig, um eine Frau mit Risikogeburt aufzunehmen. Gitta Scholz, Kreissprecherin des Hebammenverbandes für die Region Hannover, kritisierte gestern, dass seit der Schließung der Geburtshilfe im Nordstadtkrankenhaus im Mai 2015 kein Konzept entwickelt worden sei, um die Lücke in der Versorgung schwangerer Frauen zu schließen. Beziehe man auch die Schließung der Geburtshilfe in der Paracelsusklinik in Langenhagen 2013 mit ein, müssten die verbliebenen Geburtskliniken in Hannover eine Mehrbelastung von fast 2000 Geburten kompensieren. Für die Hebammen bedeute das eine extreme Verdichtung der Arbeitsbelastung.
Sie müssten bis zu fünf Schwangere gleichzeitig betreuen, könnten Überstunden nicht nehmen, würden schlecht bezahlt. Folge sei eine große Fluktuation in den Krankenhäusern, in vielen Kreißsälen gebe es offene Stellen. Dies ist auch im Henriettenstift der Fall. Das Problem habe aber nicht nur der Diakovere-Verbund, sagte Sprecher Balkhoff gestern. Man stelle laufend neue Hebammen ein, allein 2016 seien es fünf gewesen. Man gehe, weil der Markt für Hebammen in Deutschland leer gefegt sei, neue Wege, habe Personalanzeigen in Tschechien, Österreich und Italien geschaltet. Fünf neue Hebammen habe man in Rom gefunden, sie würden zurzeit mit Deutsch-Intensivkursen auf die Arbeit vorbereitet. Das Henriettenstift habe sich für die Fehlzeiten komplett bei der Rettungsleitstelle abgemeldet, hieß es gestern. Zwei Schwangere, die spontan in die Klinik gekommen waren, um zu entbinden, habe man ins Friederikenstift geschickt. Eine Frau, bei der eine Frühgeburt drohte und die mit einer aktuellen Blutung vor der Tür stand, habe im Perinatalzentrum mithilfe einer Kinderkrankenschwester entbunden. Diese habe allerdings keinerlei Ausbildung in der Geburtshilfe, deshalb sei gesetzlich geregelt, dass bei jeder Geburt eine Hebamme anwesend sein müsse, sagte Hebammensprecherin Gitta Scholz gestern.“
Diese dramatische Situation in der hannoverschen Geburtshilfe im Juni 2016 kann einigermaßen überraschen, da der Regionspräsident noch in der Drucksache AaA 2373 (III) vom 17.06.2015 auf Seite 6 erklärte: „Im Rahmen der Medizinstrategie 2020 wurde beschlosse, die Geburtshilfe am Standort Nordstadt aufzugeben. Dem Beschluss lag die Einschätzung zu Grunde, dass die Versorgung in der Geburtshilfe durch die städtischen Mitbewerber sichergestellt werden kann. Dieser Einschätzung ist die Krankenhausplanung gefolgt. Aus Sicht der Krankenhausplanung ist die Versorgung in der Geburtshilfe durch die MHH, Henriettenstiftung und das Diakoniekrankenhaus Friederikenstift sichergestellt. Mit Wirkung zum 01.05.2015 wurden aufgrund der Schließung der Geburtshilfe am Klinikum Nordstadt Planbetten zur Geburtshilfe aus dem Krankenhausplan herausgenommen, im Gegenzug eine Erweiterung der Planbetten an Henriettenstiftung und Friederikenstift krankenhausplanerisch befürwortet.“ Darüber hinaus vertrat der Regionspräsident auf Seite 7 der Drucksache AaA 2373 (III) die Ansicht, dass die anderen städtischen Kliniken in der Landeshauptstadt Hannover zum Stichtag 01.05.2015 in der Lage seien, die Nordstadt-Geburten vollständig zu übernehmen.
Vor dem Hintergrund, dass diese oben genannten organisatorischen Engpässe und Mängel in der hannoverschen Geburtshilfe, die es nach Ansicht des Regionspräsidenten und der Geschäftsführung der KRH GmbH gar nicht hätte geben dürfen, im schlimmsten Fall zu schweren Geburtsschäden führen können, fragen wir.
Abmeldungssituation der Kreißsäle bei der Rettungsleitstelle in der Region Hannover
Welche Gründe haben seit 2012 zur Abmeldung von Kreißsälen und von Geburtshilfestationen bei der Rettungsleitstelle geführt?
Wie häufig und wie dauerhaft haben sich Kreißsäle und Geburtshilfestationen der Kliniken in der Region seit 2012 bei der Rettungsleitstelle abgemeldet?
Wurden die Häufigkeit, die Dauer und die Gründe für die Abmeldungen von Kreißsälen bei der Rettungsleitstelle kontrolliert und überprüft? Wenn ja, wie und von wem?
Wie viele Abmeldungs-Faxe wurden seit Anfang des Jahres 2016 von den Kliniken in der Region hinsichtlich der Abmeldung von Kreißsälen an die Leitstelle der Region Hannover gesandt?
Kapazitätsengpässe an den Geburtshilfestationen in der Region Hannover
Hat die geburtshilfliche Versorgung in den Krankenhäusern der Region Hannover mit der Geburtenrate Schritt gehalten?
Wie ist die Auslastungsentwicklung der einzelnen stationären Geburtshilfeeinrichtungen seit Juni 2015? Wie viele Kinder wurden in den Krankenhäusern in der Region Hannover geboren?
Gab es in den letzten Jahren bzw. gibt es derzeit Engpässe bei der Versorgung in den Kreißsälen? Zu welchem Prozentsatz konnten werdende Mütter ihr Kind nicht in der geplanten Klinik zur Welt bringen? Wie oft mussten Mütter seit dem 01.05.2015 in der geplanten Klinik abgewiesen und in andere Krankenhäuser gebracht werden, weil die Kapazität im Kreißsaal nicht ausreichte?
Um wie viele Kilometer hat sich dadurch der Fahrweg für die Schwangeren verlängert? Sind Kreißsäle außerhalb der Region Hannover angefahren worden?
Wie viele Hebammen/Geburtshelfer gibt es aktuell in der Region Hannover? Wie viele werden jährlich in der Region ausgebildet?
Wie viele Hebammen/Geburtshelfer gibt es aktuell bei der KRH GmbH? Wie viele werden jährlich ausgebildet?
Sind bei der KRH GmbH infolge der Umsetzung der Medizinstrategie 2020 Ausbildungsplätze für Hebammen abgebaut worden? Wenn ja, wie viele?
Wie viele Fachkräfte für Geburtshilfe (u.a. Ärzte, Hebammen/Entbindungshelfer) haben die KRH GmbH infolge der Auflösung der Geburtsstation im Klinikum Nordstadt verlassen? Bitte konkrete Zahl angeben!
Wie hat sich der Rahmen (Personal, Ausbildungsplätze, Kooperationspartner usw.) für die KRH-Hebammenschule infolge der Umsetzung der Medizinstrategie 2020 verändert?
In der Berichterstattung der Neuen Presse vom 27.03.2015 zu dem Problem der geringen Kapazitäten unter dem Titel „Die Wut der Schwangeren“ heißt es weiter: „Führende Mitarbeiter im Kreißsaal des Nordstadtkrankenhauses, die anonym bleiben wollen, sagten im NP-Gespräch: „Was die Politik hier macht, ist nicht zu verantworten! Durch das Aus für die Geburtshilfe droht eine akute Patientengefährdung!“ Ein Gynäkologe vom Vinzenzkrankenhaus – auch er möchte nicht mit Namen erwähnt werden – sagt: „Wir versuchen alles gut aufzufangen, aber wie es sich gestalten wird, zeigt erst die Zukunft. Ich habe da meine Bedenken.“ Fakt ist: Schon jetzt arbeiten die anderen Geburtshilfen am Limit. Friederikenstift, Vinzenzkrankenhaus, MHH – egal wo man hinhört, oft ist von Überforderung die Rede! „Die Situation wird sich weiter verschärfen“, befürchtet eine betroffene Hebamme. Klinikumssprecher Bernhard Koch hält solche Szenarien für Panikmache: „Es wird keine Lücke beim Personal geben. Die anderen Häuser bereiten sich bereits auf den zu erwartenden Geburtenanstieg vor, schaffen die erforderlichen Kapazitäten.“ Man gehe nicht unvorbereitet in den Mai, so Koch: „Seit Jahresbeginn wird das gut vorbereitet. Sonst hätten wir das auch nicht gemacht.“ […] Alle eint die größte Angst: Wenn Geburtshilfen, die bereits am Limit arbeiten, noch mehr Geburten betreuen müssen, ist klar, was passiert: mehr Fehler! Diese Befürchtung teilen auch die Hebammen im Nordstadtklinikum. Eine sagte zur NP: „Es wird ab Mai vermehrt zu Schadensfällen kommen: behinderten Kindern oder sogar toten.“ Und sie ergänzt: „Aber es muss wohl erst ein Kind sterben, bis sich was ändert.“
Von welchen anderen Krankenhäusern sollten die Aufgaben der Geburtshilfe des Klinikum Nordstadt zum 01.05.2015 aus Sicht der Krankenhausplanung übernommen werden? Welche Ressourcen wurden an welche anderen Kliniken verlagert oder neu geschaffen, um die zusätzlichen Aufgaben wahrzunehmen?
Waren die anderen städtischen Geburtskliniken zum Stichtag 01.05.2015 tatsächlich in der Lage, die Geburten des Nordstadtkrankenhauses vollständig zu übernehmen?
Kann die Regionsverwaltung ausschließen, dass die unter 2g) genannten Befürchtungen („es wird ab Mai vermehrt zu Schadensfällen kommen: behinderten Kindern oder sogar toten“) eingetreten sind?
Wie stark ist die aktuelle Auslastung der stadthannoverschen Perinatalzentren in Bezug auf den Kreißsaal?
Ist seit der Schließung der Geburtshilfe im Nordstadtkrankenhaus ein Konzept entwickelt worden, um die Lücke in der Versorgung schwangerer Frauen zu schließen. Wenn ja, das Konzept bitte der Drucksache beifügen!
Schätzt die Regionsverwaltung den Engpass in der Geburtshilfe in der Region Hannover als besorgniserregend ein? Wenn ja, welche Maßnahmen sind aus Sicht der Regionsverwaltung (und des Landes hinsichtlich der Krankenhausplanung) erforderlich, um diese Mängel zu beseitigen und eine funktionsfähige Geburtshilfe in der Region Hannover herzustellen?
Müssen vor diesem Hintergrund die geburtshilflichen Kapazitäten an den Krankenhäusern der Region Hannover angepasst werden? Wenn ja, in welcher Höhe (Bettenzahl, Kreißsäle, Personal)?
Gefahren für Schwangere und ungeborene Kinder aufgrund der Kapazitätsengpässe an den Geburtshilfestationen in der Region Hannover
In der Berichterstattung der Neuen Presse vom 27.03.2015 war unter dem Titel „Die Wut der Schwangeren“ zu dem Problem der geringen Kapazitäten zu lesen: „Führende Mitarbeiter im Kreißsaal des Nordstadtkrankenhauses, die anonym bleiben wollen, sagten im NP-Gespräch: „Was die Politik hier macht, ist nicht zu verantworten! Durch das Aus für die Geburtshilfe droht eine akute Patientengefährdung!“ Gibt es Gefahren für Leib und Leben von Schwangeren und ungeborenen Kindern aufgrund organisatorischer Engpässe und Mängel in der Geburtshilfe in der Region Hannover?
In der Berichterstattung der HAZ vom 26.03.2015 unter der Überschrift „Wie geht es für uns weiter? - Schwangere, Hebammen und Interessenverband fordern Fortbestand der Geburtshilfe im Nordstadtklinikum“ ist zu entnehmen, dass nicht nur Notaufnahmen und Fachabteilungen der einzelnen Häuser des Klinikums Region Hannover aufgrund personeller und technischer Engpässe regelmäßig gezwungen sind, sich bei der Rettungsleitstelle abzumelden, sondern auch Kreißsäle der Geburtshilfestationen. In diesem Kontext führt die Berichterstattung aus: „Es kommt doch aber bereits jetzt regelmäßig vor, dass Kliniken ihre Kreißsäle bei der Regionsleitstelle der Feuerwehr abmelden und ein Rettungswagen dann mit einer Schwangeren an Bord quer durch die Stadt fahren muss“, sagt eine betroffene Hebamme, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.“
Sind der Regionsverwaltung Fälle bekannt, in denen es bei Schwangeren und/oder Neugeborenen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund des verlängerten Fahrweges infolge einer Abmeldung gekommen ist?
Was hat die Regionsverwaltung unternommen, um Abmeldungssituationen, die aufgrund des Kapazitätsabbaus durch die Aufgabe der Geburtshilfestation im Klinikum Nordstadt entstanden sind, zu vermeiden?
Wir bitten um Beantwortung der Anfrage vor der geplanten Anhörung von freien und angestellten Hebammen sowie deren Berufsverbänden.
Mit freundlichen Grüßen
BernwardSchlossarek
-Regionsabgeordneter-